Impuls Dezember

Predigt zu Jes 11,1-10 und Mt 3,1-12 am ersten Adventssonntag

Baum (c) Monika Herkens
Von:
Beatrix Hillermann

Liebe Gemeinde,

ich besitze ein Buch von der Traumatherapeutin Luise Reddemann, in dem sie unterschiedliche Übungen darstellt, um sich von traumatischen Bildern zu befreien. Es geht darum, dass der traumatisierte Mensch wieder in die Handlungsfähigkeit kommt, dass die traumatischen Bilder mit guten, hilfreichen Bildern überschrieben werden. Und diese hilfreichen Bilder stellt sie in dem Buch zusammen, erklärt sie und gibt Hilfen, wie man sich diese Bilder aneignen kann

Wieder in eine positive Handlungsfähigkeit zu kommen, darum geht es auch im Advent. Wie kann ich mein Leben darauf ausrichten, dass Gott Mensch wird, d.h. dass er mir in jedem Menschen auch begegnet. Wie kann ich Altes, Lebenzerstörendes hinter mir lassen? Jesaja zeichnet so ein hilfreiches und positives Bild. Die erste Aussage heißt, es wächst etwas Neues, aus dem Baumstumpf kommt ein junger Trieb. Und der Geist des Herrn ruht auf ihm. In der Trauerbegleitung erlebe ich das ganz oft. Da ist dieser Stumpf des alten Lebens, der oft blutet und ganz extrem schmerzt. Und dann wächst, manchmal kaum merklich, ein neuer Spross. Sich zum ersten mal wieder auf etwas freuen, nicht mehr ganz so oft weinen müssen, sich mal wieder verabreden, das sind so kleine Sprosse. Aber die Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen wachsen wollen, dass sie sich verändern wollen, dass sie neues Leben suchen. Leben ist Veränderung und ich glaube, auch unserer Kirche ging es besser, wenn sie das wirklich verstanden hätte. Die Zeit des alten Baumes ist schon vorbei, auch wenn der Baumstumpf noch steht. Das gilt nicht nur in der Kirche, sondern für die ganze Gesellschaft. Wenn wir überleben wollen, ist die Zeit der fossilen Brennstoffe unwiderbringlich vorbei, auch die Zeit, in der konsumieren das oberste Ziel war, um die Wirtschaft am Laufen zu halten ist vorbei. Wir brauchen neue, heilsame Bilder von einer gerechten Kreislaufwirtschaft, in der Menschen in allen Ländern gut leben können. Jesaja malt dazu Bilder, Gerechtigkeit ist für ihn ein wichtiges Stichwort und auch Gewaltlosigkeit. Er lässt Tiere miteinander weiden, die sich im realen Leben töten und das ganze Bild von einem kleinen Jungen leiten.

Eine messianische Schau wird dieses Bild von Jesaja genannt. Ja, es ist nicht unsere Realität, aber wenn wir uns gute, lebenssatte Bilder machen, können wir unsere Realität verändern. Zum Verändern ruft auch der Täufer  Johannes im Evangelium auf. Und Johannes wird da zum Teil sehr deutlich. Glaubt nicht, dass es reicht zu sagen, wir sind Kinder Abrahams, sagt er über die damalige vorherrschende Religionsgemeinschaft. Es geht darum Frucht zu bringen. Es geht darum zu einem besseren Leben für alle beizutragen.

Johannes, im Evangelium, greift da auch zur Drohung (wer keine Frucht bringt, wird ins Feuer geworfen) Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass diese Drohungen zeigen, was passiert, wenn wir nicht umsteuern. Die Feuer durch die Hitze des Klimawandels haben wir im Sommer hier schon deutlich erlebt. In unserem Frankreichurlaub haben wir nicht weit davon die Autobahn benutzen müssen und das war für mich ganz schön angsterregend. Zu welchen Katastrophen die Friedlosigkeit und die Machtgier einzelner Menschen führt, zeigt uns schmerzhaft der Krieg in der Ukraine. Es geht um Umkehr aus totbringenden Strukturen und Zusammenhängen. Positive Bilder können uns da Hilfe und Orientierung sein.

Mein ökumenischer Adventskalender „Andere Zeiten“ erzählt am zweiten Advent eine Geschichte von einer Frau, die eine Vision, ein Bild von einer besseren Zukunft hatte.  Dort heißt es:

„Elisabeth Selbert ist Mitglied im Parlamentarischen Rat, der nach dem zweiten Weltkrieg den demokratischen Neuanfang in Deutschland einläuten soll. Sie formuliert den ihrer Meinung nach im Grundgesetz dringend notwendigen Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Denn die Realität sieht anders aus. Sie, die promovierte Juristin mit eigener Anwaltskanzlei, sitzt mit lediglich drei anderen Frauen, jedoch 61 Männern im parlamentarischen Rat. Eine bittere Bilanz. Und Zeit für einen Umbruch. Die Männer sehen das anders. Sogar ihre Kolleginnen zögern. Am 30. November 1948 wird Elisabeths Formulierung im Grundsatzausschuss abgelehnt.

Ein Rückschlag, der nur ihren Ehrgeiz anstachelt. Elisabeth organisiert öffentlichen Protest, macht Frauenverbände, Kommunalpolitikerinnen und Berufsverbände mobil. Sie baut politischen Druck auf. Schließlich überzeugt sie auch ihre drei Kolleginnen im Parlamentarischen Rat von der Notwendigkeit der Reform. Ein Stein ist ins Rollen gekommen. Am 18.Januar 1949 wird der Grundsatz einstimmig angenommen. Seither lautet Artikel 3, Absatz 2 im Grundgesetz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Eine neue Freiheit, ein Ende der alten Machtstrukturen, ein Neuanfang. Manchmal sind die Schritte klein, ein Umweg bremst aus, immer neue Hindernisse liegen im Weg. Aber es geht weiter.“ (vgl. Der 28.Andere Advent, Sonntag 04.12., Verfasserin Linda Giering)

Elisabeth Selbert hatte ein Bild, eine Vision, der sie folgte. Sie wusste, das Alte trägt nicht mehr, das Alte ist zerstörerisch wie die traumatischen Bilder. Sie ist mutig aufgebrochen und lädt uns ein, wie Jesaja und Johannes, alte zerstörerische Strukturen zu verlassen und messianischen Bildern zu folgen.