Wissenschaftliche Forschung als Grundlage der Trauerseelsorge

Novembertage (c) Bild: Peter Weidemann In: Pfarrbriefservice.de
Von:
Beatrix Hillermann

Lange Zeit haben die Kirchen mit ihren Riten und Gebeten hier in Westeuropa in der Trauerbegleitung so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch gehabt. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich verändert. Nach dem zweiten Weltkrieg mit unzähligen traumatisierten Menschen begann der Siegeszug psychologischer Forschung und Behandlung. Elisabeth Kübler-Ross stellte mit ihrem Sterbephasenmodell (1969) ein erstes Modell vor, in dem der psychische Umgang mit Trauer und Tod beschrieben wurde. Es folgten John Bowlby (1970) und Verena Kast (1982) mit ihren Phasenmodellen. 

Der amerikanische Arzt und Trauerforscher William Worden legte mit seinen Traueraufgaben 1982 das erste prozessorientierte Modell zum Verständnis von Trauer vor. Worden widerlegte die Phasenmodelle und wurde zur Grundlage für unterschiedliche neuere Trauermodelle. Die deutsche Trauerbegleiterin und Forscherin Chris Paul, bei der zahlreiche Kollegen und Kolleginnen im Bistum ihre Trauerbegleitungsausbildung gemacht haben, erweiterte Wordens Traueraufgaben um zwei weitere und nennt ihr Modell das Kaleidoskop des Trauerns. Auch dieser Titel hat schon Bedeutung. „Die sechs Facetten des Trauerprozesses sind von Anfang an alle gleichzeitig präsent – sie formen ein Kaleidoskop, mischen und gewichten sich immer wieder neu“ (Klappentext zu Chris Paul, Wir leben mit deiner Trauer) Chris Paul nennt die verschiedenen Facetten:

  • Überleben – Wie schaffe ich es weiter zu leben?
  • Wirklichkeit – Wie kann ich begreifen, was passiert ist?
  • Gefühle – Wie kann ich all die unterschiedlichen Gefühle der Trauer wahrnehmen, ausdrücken und aushalten?
  • Sich anpassen – Wie kann ich mich in das neue Leben ohne den geliebten Menschen hineinfinden
  • Verbunden bleiben – Wie kann ich über den Tod hinaus mit dem geliebten Menschen verbunden bleiben
  • Einordnen – Wie kann ich mit der Trauererfahrung meinem Leben einen neuen Sinn geben?

Achtsame Begleitung vom Abschiednehmen und der Beerdigung an, kann Trauernden wertvolle Hilfen geben um diesen Prozess zu bestehen und vielleicht sogar gestärkt aus ihm rauszugehen. Inadäquate, unsensible Vorgehensweisen von Helfenden im Abschiedsprozess (Pflegende, Ärzte und Ärztinnen, Seelsorgende) führt zu „tertiärer Trauer“ und verschlimmert die Trauererfahrungen in der Regel.

Von daher ist es mir wichtig, dass wir unseren Grundauftrag, den Trauernden beizustehen, orientieren an den neusten Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung. Wenn wir gemeinsam mit den Akteuren der Zivilgesellschaft, die zum Thema Trauer arbeiten, ein Netz für Trauernde bilden, können sie gehalten und gestützt Neuorientierung für ihr Leben finden.

In der Heilungsgeschichte vom blinden Bartimäus hat Jesus uns einen adäquaten Umgang mit Hilfesuchenden gezeigt. „Was willst du, dass ich dir tue?“ das ist seine Frage an den Blinden (Mk 10,51). Jesus traut dem Blinden zu, dass er weiß, was für ihn gut ist. Die Überzeugung, dass die Ressourcen im Klienten liegen, prägt alle Ansätze der humanistischen Psychologie. Diese radikale Hinwendung zu den Bedürfnissen des Hilfesuchenden habe ich in der Hospizarbeit gelernt und sie soll bei uns die Grundlage für die Arbeit mit Trauernden sein.

Beatrix Hillermann